Beschreibung
Eines meiner besten Bilder
Dieses Bild ist eines meiner besten. Es ist schwer zu sagen, warum ein Foto außergewöhnlich ist, mal abgesehen von den objektiven Kriterien wie Bildaufbau, Licht, Schärfe. Abgesehen von diesen “Essentials” hat es für mich auch immer ein bisschen mit seiner Entstehungsgeschichte zu tun, wenn ich ein Bild außergewöhnlich nenne. Ich war in Moskau für eine Reportage über die private Initiative “Handwerkerinnen und Handwerker am gemeinsamen europäischen Haus”, um Moskauer Handwerker zu portraitieren, die für ein Jahr in Betriebe in Deutschland gehen würden, um dort zu hospitieren. Umgekehrt gingen deutsche Handwerker nach Russland. Antrieb für diese Initiative war das Grauen des zweiten Weltkriegs und die Hoffnung, dass es Menschen, die sich kennengelernt hätten, die sich als Kollegen erlebt hätten, miteinander etwas erschaffen oder geleistet hätten, viel schwerer fallen würde, sich gegenseitig umzubringen. Und so erlebte ich den Alltag in Moskau. Während meiner Tage in Moskau bekam ich ein Gefühl für Moskauer Alltag in Zeiten der Perestroika.
Alltag in Moskau nach dem Zerfall der Sowjetunion<
Den Organisatoren war es gelungen, mich in einem privaten Haushalt unterzubringen, was zu der Zeit – die Sowjetunion war dabei, zu zerfallen, aber die alten Strukturen waren natürlich noch intakt – erstens verboten und zweitens ungewöhnlich war. Jahrzehntelang hatte die Staatsmacht Ausländer auf Schritt und Tritt überwacht und deshalb war es ein gewissen Wagnis, mich so wohnen zu lassen. Da ich nicht genug russisch konnte, zog ich es vor, “stumm” zu sein, wenn mich im Hausflur oder vor dem Wohnblock, in dem untergebracht war, jemand ansprach. Aber so konnte ich den Alltag von Moskauern auf Zeit leben. Die Wohnung wurde von einem jungen Mann, Sergey, und seiner Mutter bewohnt. Da man “vergessen” hatte, den Behörden den Auszug eines vorherigen Mitbewohners mitzuteilen, war die Wohnung für die beiden eigentlich viel zu groß. Aber so konnte Sergej, der in seiner Freizeit als Holzbildhauer arbeitete, ein Zimmer bis zur Decke mit Holz für seine Arbeiten füllen, Der Fußboden wölbte sich bedenklich nach unten, so dass ich ein wenig Angst um die Bewohner unter uns hatte. Aber so war es im Russland der Sowjet- und Post-Sowjetzeit: Wer etwas in die Finger bekam, was man vielleicht gebrauchen könnte, der griff zu. Ideal war es, wenn der, der einen halben Baumstamm liefern konnte, vielleicht mit einer Dienstleistung oder einem anderen Tauschgegenstand bezahlt werden konnte. Worüber unterhalten sich Menschen in der Metro so intensiv, die sich offenbar völlig fremd sind, fragte ich einmal die Dolmetscherin, mit der ich manchmal unterwegs war. Sie erklärte mir, dass die meisten Gespräche sich darum drehten, wo in der riesigen Stadt gerade irgendetwas zu haben war, was den Rest des Jahres Mangelware war.
Wie dieses Bild entstand
An einem ganz normalen Tag machte ich mich von “meinem” Wohnblock auf den Weg zur Metro, um in die Stadt zu fahren. Es war ein grässlicher Novembermorgen mit Temperaturen um 0 Grad, der Wind pfiff rund um die Wohnblocks und trieb Regen vor sich her. Es war einfach wahnsinnig ungemütlich. Dann komme ich an dieser Frau vorbei, die mit einer bewundernswerten stoischen Ruhe strickend vor einem Laternenpfahl steht, der über und über mit Angeboten beklebt ist (s. oben). Zu ihren Füßen auf einem kleinen Tischchen hat sie Gemüse drapiert, das sie wahrscheinlich in ihrer Datsche gezogen hat und hier versucht, an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Wie lange sie da schon stand? Wahrscheinlich seit Stunden – und ich hatte gerade noch über das Wetter geklagt. Natürlich überlege ich, ein Foto zu machen, murmele ihr ein “Iswinitje, ya chatschu dzeljat foto?” zu (Also: Entschuldigung, ich möchte Sie fotografieren!, der einzige russische Satz, den ich hinkriege) – in dem Moment fährt der Typ mit diesem uralten Lastwagen vor – und plötzlich ist nicht mehr der Fotograf der Beobachter, sondern der Fotograf wird mit einer Mischung aus Neugier und Unwillen angeschaut.
Was diese Fotografie besonders macht
Ich zitiere aus einer Bildkritik aus einem Wettbewerb, an dem ich teilgenommen habe: “Ich sehe eine faszinierende ästhetische Sensibilität und Bildsprache in dieser Aufnahme. Deine Verbindung mit der Umwelt und den Menschen ist ganz offensichtlich ebenso wie deine Fähigkeit, Motive nicht zu ‘erzwingen’, sondern sie eher entstehen zu lassen, offen zu halten. Das Bild ist sehr komplex und enthält mehrere Ebenen. Es geht unter die Oberfläche und es stellt Fragen.”
Es ist wohl kaum verwunderlich, dass ich mich darüber sehr gefreut habe.
Die Auflage dieses Bildes ist auf eine Stückzahl von 25 beschränkt. Jedes Exemplar wird von mir handsigniert.
Weitere Bilder, die auf verschiedenen Reisen in die Sowjetunion entstanden sind, können hier angeschaut werden.
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